Youngs Carers Deutschland
- auch ich gehöre dazu
Ich kann mich noch sehr genau an den Moment erinnern, als ich in einem Radiobeitrag erstmals vom Begriff 'Young Carers' gehört habe. Zum ersten Mal schaffte es eine Begrifflichkeit, die Last und den Stolz, die meine Rolle in jungen Jahren innehate, zu vereinen. Ich resonierte unmittelbar, fühlte mich verbunden und zugehörig, fühle mich gesehen.
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Der Beitrag leistete Aufmerksamkeitsarbeit und erzählte die Geschichte eines jungen Mädchens, die ihren Vater pflegte. Und die trotz dieser "schweren Aufgabe" größere Visionen vor Augen hatte. Eine Plattform erschaffen, wo Young Carers Sichtbarkeit, Gehör und Unterstützung finden können. Passend dazu rief sie die Webseite http://young-carers.de/ - Pflegende Kinder und Jugendliche ins Leben.
Der Radiobetrag liegt bereits über ein Jahr zurück. In diesem Jahr habe ich viel Aufarbeitung in Bezug auf meine Vergangenheit gemacht, bin in tiefe Verbundenheit mit meinem früheren Selbst gegangen. Ich habe Raum für Gefühle, für Ängste und für Zweifel geschaffen, die ihren Weg nach Außen suchen.
Young Carer zu sein prägt ein Leben lang
Die Zeiten, die ich mit meiner Mama verbringen durfte, sind in etwa genau so lang wie die Zeiten, die ich ohne sie zurechtkommen musste. Zumindest ist so mein subjektives Empfinden. Das dieses viel wichtiger ist als jede Aufrechnung in Kalendertagen, wird mir immer bewußter. Was jedoch viel schwerer auf mein Seelenwohl wirkt(e), ist der Rollentausch, den die Krankheit meiner Mutter mit sich brachte. "Plötzlich Mutter", plötzlich in einer Rolle zu stecken, die auf jeder Ebene überfordert, von heute auf morgen nicht mehr Kind zu sein / sein zu dürfen, ohne Vorwarnung eine Verantwortung für einen Angehörigen zu tragen, dessen Hauptaufgabe eigentlich die Fürsorge meiner Selbst ist, das macht etwas. Es hinterlässt bleibende Spuren.
Verhaltensweisen, die durch solch prägende Traumata erlernt werden, welche in einem Familienumfeld plötzlich benötigt und unverzichtbar werden, manifestieren sich. Sie werden Teil, integrieren sich, sind wichtige Pfeiler im Überlebensmodus, die Rahmenbedingungen der Pflege und Krankheit oft mit sich bringen.
Young Carers Deutschland - Austausch in Rainer's Podcast
Das diese Erfahrung, die Rolle des Young Carers die ich im Kindes- und jungen Erwachsenenalter über viele Jahre getragen habe, zu mir gehört, habe ich akzeptiert. Ich habe dieses Gefühl lieben gelernt, denn es hat einen so großen Anteil an der Frau, die ich heute sein darf.
Und doch lässt mich der Gedanke nicht los, ist immer wieder - insbesondere über seine (in)direkten Wirkungen - präsent und ich habe gelernt, ihm in ebendiesen Moment Raum zu geben. Ich teile viele der Erfahrungen mit meinem Partner Rainer und es trägt zu unserer besonderen Verbindung bei, dass wir uns beide zu den 'Young Carers Deutschland' zählen können. Mal mehr, mal weniger.
Aber hör' selbst...
Das Wort "Care" assoziere ich sehr stark mit meiner Oma. Sie war die Person, die in der Familie eine Art Mutterrolle übernommen hat. Natürlich haben Oma's von Natur aus eine gewisse mütterliche Rolle inne; meine füllte das entstandene Loch, was durch die Erkrankung meiner Mama in unserer Mitte klaffte, bestmöglich.
Das ich diese Rolle an einem späteren Punkt wieder einnehmen musste, hat die bereits vorhandenen Wunden noch vertieft. Mein Leuchtturm aus dunklen Tag wurde selbst pflegebedürftig, und für mich war eines sofort klar. Ich möchte ihr all ihre Liebe, Fürsorge, ihre Wärme zurückgeben - am liebsten doppelt und dreifach. Also zog ich mit 17 aus meinem Elternhaus aus und zurück zu meiner Oma, in das Haus wo wir viele Jahre Seite an Seite lebten. Ein zweites Mal wurde ich zum 'Young Carer', bis zum Heiligabend 2005, als meine Omi entgültig ihre Augen schloss.