Ich habe keine Kraft mehr

Ein Sonntag Morgen, draußen ist es grau und doch spüre ich die Herbst Vibes. Ich mag den Herbst sehr. Mit all seinen Facetten: bunten Farben, fallenden Blättern, Nebelschwaden, dem Geruch von Kälte in der Luft, majestetischen Kranichen, die mit wundervollem Lauten in Reise gen Süden antreten, Regentropfen, Kerzenlicht, Eintöpfe und Aufläufe, Kuscheln.  

Der Herbst steht für mich für Veränderung, für Entschleunigung, für Loslassen, für Innenkehr, für Selbstfürsorge. Erst schickten wir feierlich unseren Gemeinschaftsgarten in den Winterschlaf, dann folgten meine Pflanzen auf dem Balkon, für die ich tiefe Muttergefühle entwickelt habe.

Auch ich sehne mich nach Ruhe, nach Entschleunigung, nach Frieden, Leichtigkeit, Lachen, Gemeinschaft - die sich von draußen nach drinnen verlagert. Nach Zuversicht, danach neuen Anlauf zu nehmen, auf MEHR von den Dingen, die mir Kraft geben. Mehr lesen, mehr Yoga, mehr Cello spielen, mehr bloggen, mehr kochen, backen oder wie mein Schatz sagt, mehr zaubern.

Die Welt brennt

Wenn ich diese Zeilen schreibe, fühlt sich das alles greifbar an, machbar, fast wie wenn es schon geschehen wäre. Dann schließe ich die Augen, fühle in mich hinein, öffne meine Seele, und große, unbändige Tränen kullern über meine Wange. Mit jedem Atemzug steigert sich der Fluss, wächst von einem Bach hin zu einem Wasserfall aus Tränen, die Ausdruck meiner Verzweiflung sind.

Die Welt brennt, wir kämpfen gegen multiple Krisen, jeden Tag, immer wieder. Ich bemerke die kleinen Veränderungen am Wegrand, freue mich über jeden Wegbegleiter, Menschen die auf die Straße gehen, die ihre Stimme erheben, sich in Initiativen zusammenschließen und engagieren. Mitmenschen, die Neues wagen, die sich öffnen für neue Wege, für neue Universen, in denen wir uns zusammenfinden und versuchen Wandel zu gestalten. Jeden Tag! Aufs Neue!

Ich bin dankbar für jeden Einzelnen, der aufsteht. Ich fühle mich verbunden. Und doch: lasse ich meinen Blick schweifen, sehe ich all' diejeniegen, die auf unsere Zukunft einen Sch*** geben, denen Gemeinschaft, Fortschritt und Solidarität völlig egal sind. Für die Veränderung nur ein unbequemer Zeitvertreib ist, den sie sich nicht leisten können. Nicht leisten wollen. Für sie bedeutet er Verzicht. Und seien wir ehrlich, wer möchte schon gerne auf die Fahrten im bequemen SUV, die Flugreisen in Touristenhochburgen, das leckere Steak im Restaurant der Altstadt oder die berge an neuer Kleidung verzichten. Das Leben ist doch viel zu kurz, um auf Luxus und Genuß zu verzichten.

Sei du selbst die Veränderung...

... die du dir für die Welt wünschst. Ein Zitat, was mich tief berührt, welches ich zu meinem Mantra gemacht habe. Ich lebe Veränderung. Jeden Tag, auch dann wenn es unbequem ist. Ich versuche jeden tag, die Welt ein bisschen zu befruchten. Sie zu schützen. Positives, Liebe, Gemeinschaft hinaus in die Welt zu tragen.

Und mit jedem Tag erkenne ich schmerzhafter das der größte Kampf, den ich kämpfe, der gegen mich selbst ist. Ich bin noch immer Teil dieses kranken, menschenverachtenden Systems. Eines Systems, dass sich durch die Bequemlichkeit vieler Menschen trägt. Menschen mit Privilegien, deren Mantren Ausbeutung und ungesunder Egoismus sind. Die immer erst auf sich schauen, bevor sie ihren Blick schweifen lassen. Leben für Geld, für Anerkennung und für Leistung. Willkommen im Jahr 2022!

Solange ich Teil des Systems bin, werde ich weiter kämpfen. Jeden Tag. Kämpfen vor allem gegen mich selbst, weil ich das System mittrage. Mittragen muss! Um handlungsfähig zu bleiben, um fähig zu bleiben, die Transformation mitzutragen. Um jeden Tag mit dem Gefühl in den Schlaf zu sinken, dass wir dem Goldennen zeitalter einen Schritt näher sind. Um nicht zu resignieren und sich in all' dem Leid und der Ungerechtigkeit nicht selbst zu verlieren.

Die Kraft liegt tief in uns...

.. und sie wird wiederkommen. Im Moment schreit auch sie nach einer Winterruhe, nach ein paar Wochen, in der sie sich neu aufladen kann. Sich neu ausrichten darf, um umso stärker zurück zu kommen.  

Meine Tränen sind getrocknet, ich habe mich in meine gemütliche Decke gekuschelt. Mein Blick schweift nach rechts ins Bücherregal. Die Bücher, die ich erblicke, sind Ausdruck meiner Selbst.

Ich lese ein Buch über Empathen, was mich mit jeder Seite besser fühlen lässt, mich mehr verstehen lässt, wer ich bin und welche Bedürfnisse und Fähigkeiten mich prägen. Daneben liegt mein Ebook, auf dem ich parallel "After Work" von Tobi Rosswog lese. Über eine Welt mit weniger Kapitalismus, mehr Wir, mehr Sein, mehr Leben.  An manchen Tagen kann ich das Buch nicht in die Hand nehmen, weil jedes Wort zu schwer schmerzt. Tage, an denen mich das System zu fest "in seinen Krallen" hat.

Ein paar Buchlängen weiter liegt ein Buch von Luisa Neubauer. Als Klimaaktivistin erwarte ich darin viele Erläuterungen, Realitäten und Aufrufe, die seit Monaten Mittelpunkt meines Lebens sind. Die ich auf der Straße höre, mit meinen Rufen mittrage, auf Plakaten für die Außenwelt visualisiere. Als mein Blick noch etwas weiter zieht, fährt ein starkes Beben durch meinen Körper. Ein Buch, dass sich mit dem Elternwerden beschäftigt. Etwas, nach dem ich mich zutiefst sehne, doch was mir gleichermaßen kaum größere Angst machen könnte. 

Ein letzter tiefer Atemzug

Ich schließe die Augen. Fühle alles noch etwas intensiver. Gebe Geanken, Emotionen, Sorgen, Ängsten und Revolutions-Sehnsucht einen Raum. 

Nach einigen tiefen Atemzügen öffne ich meine Augen wieder und lasse meinen Blick nach links schweifen. Neben mir liegt der Mensch, der mich hält, auffängt, vorantreibt, schützt, liebt, trägt. Der Mensch, ohne den ich wahrscheinlich schon aufgegeben hätte. Der Zuversicht, Angst, Wut und Aktivismus mit mir teilt, wie kein Anderer.

Meine Stimme ist im Moment vielleicht (etwas) leise(r), und doch kämpfe ich jeden Tag. Für uns, für unsere Zukunft, für unsere Erde. Vieles passiert in unseren Dialogen, Diskussionen, Austausch - verborgen in unseren vier Wänden. Ich bin aus tiefstem Herzen stolz darauf, wie Rainer seine Stimme ins Außen trägt. Hier entlang: rainerroessler.de, ein kleiner Teil meines Kämpferherzes wird auch immer auf Rainer's Blog mitwirken.

Gemeinsam sind wir stark, gemeinsam tragen wir Veränderungsprozesse und gestalten eine Welt, die nachhaltiger, gerechter und liebevoller wird. Wir haben ein Universum für uns gefunden, in dem sozialer Austausch ein neues, respektvolleres Zuhause bekommen hat. Das Fediverse ist ein wundervolles Planetensystem, in das ich mich gerne zurückziehe, und kleine Fußabdrücke hinterlasse.

Ich freue mich, dich dort wiederzusehen:
fran_zis_world@nrw.social

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